Dies entschied vor kurzem das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein in seinem Urteil vom 06.05.2015 (Az. 3 Sa 354/14). Was war geschehen?
Notfalls mit dem Kopf durch die Wand. Das hatte sich offensichtlich die Klägerin, eine langjährige (22 Jahre) Angestellte, gedacht, die nach Übertragung der Position der Leiterin eines Zustellstützpunktes mit Verantwortlichkeit für rund 300 Zusteller von ihren Vorgesetzten wiederholt eine Vergütung als außertarifliche Angestellte, einen AT-Vertrag, verlangte (sie war „nur“ in die höchste tarifliche Entgeltgruppe eingruppiert). Nachdem sie von ihrem Arbeitgeber ein letztes Mal unmissverständlich darauf hingewiesen wurde, dass keine Bereitschaft mehr bestünde, die Vergütungsfrage mit ihr zu erörtern, teile die Klägerin mit, dass sie von ihrer neuen Position als Betriebsleiterin „zurücktrete“ und bat um Zuweisung einer anderen Tätigkeit. Daraufhin wurde ihr mitgeteilt, dass sie nicht durch einseitige Erklärung ihren Posten aufgeben könne und insofern weiterzuarbeiten habe wie bisher. Sie wurde jedoch zu einem zeitnahen Gespräch über die weitere Zusammenarbeit eingeladen.
Dort erneuerte die Klägerin ihre Forderung nach einem AT-Vertrag, wiederum wurde dieses Ansinnen von ihrem Niederlassungsleiter zurückgewiesen, der das Gespräch damit auch beenden wollte und die Klägerin zum Verlassen seines Dienstzimmers aufforderte. Was dann folgte, darf als doch eher ungewöhnlich bezeichnet werden und kann keinem Arbeitnehmer ernsthaft zur Nachahmung empfohlen werden:
Die Klägerin weigerte sich, jedenfalls solange ihre Forderungen nicht erfüllt würden. Auch der Hinweis auf das Hausrecht und eine Fristsetzung zum Verlassen des Raumes konnten die Klägerin nicht überzeugen, sodass letztendlich der Niederlassungsleiter und die ebenfalls anwesende Abteilungsleiterin Personal ihrerseits den Raum verließen. Auch der dann zugezogene unmittelbare Vorgesetzte der Klägerin hatte keinen Erfolg mit seinen Bemühungen, die Klägerin zur Vernunft zu bringen und dazu zu bewegen, nun endlich das Dienstzimmer des Niederlassungsleiters zu verlassen. Nach einer weiteren Stunde kehrten die drei Führungskräfte erneut zurück, boten an, den Ehemann der Klägerin anzurufen oder ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen, alles ohne Erfolg. Auch die Androhung arbeits- und strafrechtlicher Konsequenzen tangierte die Klägerin nicht, sie harrte weiter aus. Erst der daraufhin gerufenen Polizei gelang es dann nach mehr als zwei Stunden, die Klägerin aus dem Zimmer zu „komplimentieren“, nach einer weiteren Stunde, in der ihr sowohl ein schriftliches Hausverbot als auch eine Freistellung überreicht worden sind, verließ sie in Begleitung eines Polizisten das Betriebsgelände.
Nachdem die Klägerin dann am nächsten Tag auch noch an zahlreiche Mitarbeiter der Niederlassung E-Mails verschickte, in denen sie sich – ohne ihr eigenes Verhalten auch nur mit einer Silbe zu erwähnen – als Baueropfer bezeichnete und u.a. mitteilte „Wer solche Vorgesetzten hat, benötigt keine Feinde mehr“, wurde der Klägerin nach Einräumung einer Stellungnahmefrist und Anhörung des Betriebsrates (der im Übrigen einer Kündigung, außerordentlich wie auch ordentlich, widersprach) fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt.
Nachdem das Arbeitsgericht Lübeck der Kündigungsschutzklage der Klägerin mit Urteil vom 08.10.2014 (Az. 4 Ca 1607/14) noch stattgegeben hatte, stellte das LAG Schleswig-Holstein in seinem Urteil vom 06.05.2015 (Az. 3 Sa 354/14) fest, dass die Berufung des Arbeitgebers zumindest teilweise begründet sei. Das Verhalten der Klägerin stelle eine derart gravierende arbeitsvertragliche Verletzung dar, dass auch unter Berücksichtigung der 22-jährigen Betriebszugehörigkeit zumindest eine fristgemäße verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sei. Allein die gleichfalls ausgesprochene fristlose Kündigung sei aufgrund ihrer Unverhältnismäßigkeit unwirksam. Kein Arbeitgeber sei verpflichtet – so das LAG – ein derartiges Verhalten seines Arbeitnehmers zu tolerieren, dies auch vor dem Hintergrund, dass die Klägerin überdies in ihren E-Mails am Folgetag gegenüber einer Vielzahl von Mitarbeitern unter Unterdrückung einer Darstellung der Vorkommnisse am Vortag ihre Vorgesetzten herabgewürdigt und sie einer feindlichen Haltung bezichtigt habe. Ein derartiges Verhalten beeinträchtige nachhaltig den Betriebsfrieden. Es gebe keine Entschuldigung für das Vorgehen der Klägerin, die sich selbst weder auf eine Affekthandlung berufen habe noch auf medizinische Entschuldigungsgründe. Deren Vorliegen habe sie ausdrücklich verneint. Die Klägerin sei – diesen Eindruck habe die Berufungskammer auch in der Berufungsverhandlung von ihr gewonnen – für Kritik nicht „erreichbar“. Sie habe Führungsverantwortung und damit Vorbildfunktion, erkenne jedoch weder eine Außenwirkung ihres Verhaltens noch etwaige Berührungspunkte mit ihrer Leistungsfunktion. Da die Klägerin eine ihre angebotene Beschäftigung ohne Leitungsfunktion abgelehnt habe, komme als milderes Mittel auch keine Tätigkeitsveränderung in Betracht. Eine Abmahnung wäre ebenfalls nicht ausreichend gewesen, diese sei mündlich ja bereits in dem Gespräch mit dem Niederlassungsleiter ausgesprochen worden – ohne Erfolg.
Anmerkung: Eine nach meinem Dafürhalten überhaupt nicht zu beanstandende Entscheidung, die verdeutlicht, dass es auch für Arbeitnehmer gewisse Grenzen gibt, die es einzuhalten gilt. Dies ist vorliegend ohne jegliche Zweifel jedoch nicht geschehen. Allein verwundert es, dass der Betriebsrat – dessen Wichtigkeit und Bedeutung grundsätzlich überhaupt nicht in Abrede gestellt werden kann und soll – hier seine Zustimmung zur Kündigung ernsthaft verweigert hat. Auch unter wohlwollender Berücksichtigung der Interessen der Klägerin vermag ich kaum Argumente zu finden, die in diesem sehr speziellen Fall für die Klägerin streiten. Die Abwägung des Landesarbeitsgerichtes Schleswig-Holstein ist insofern nur folgerichtig.
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