Es war wohl eines der kuriosesten Urteile der letzten Tage, das insofern auch Eingang in Tageszeitungen, Nachrichtenmagazine und Boulevardmedien gefunden hat: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bestätigte dieser Tage diverse Haftstrafen gegen den englischen Nacktwanderer Stephen Peter Gough. Was war geschehen?
Der 55-jährige Gough – während seiner Zeit mit Frau und Kindern in Kanada zur Erkenntnis gelangt, dass Nacktheit ein Akt der Selbstbefreiung sei – hatte 2003 nach seiner Rückkehr in die Heimat beschlossen, sich auf einen fast 1.400 km langen Fußmarsch von Lands End in Cornwall (England) nach John O`Groats an der Nordspitze Schottlands zu machen. So weit so gut, ein durchaus hehres Ziel, dem man mit Respekt begegnen kann.
Allerdings hatte Stephen Gough entschieden, auf überflüssigen Ballast weitestgehend zu verzichten: er wanderte nackt, bekleidet nur mit Wanderschuhen und Rucksack! Einige Bürger und letztendlich auch die Polizei zeigten dafür jedoch nur begrenztes Verständnis, sodass der „Naked Rambler“ – wie man ihn zwischenzeitlich „getauft“ hatte – im Laufe der Zeit, bis 2012, dutzende Male wegen der Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen und wieder und wieder zu Haftstrafen verurteilt wurde. Auch vor Gericht erschien er gern nackt, was ihm in einem Fall eine weitere Verurteilung wegen Beleidigung des Richters einbrachte. Selbst im Gefängnis lehnte er jegliche Bekleidung ab, Unterbringung in einer Einzelzelle war die Folge. Irgendwann wurde es Stephen Gough – der dem Urteil zufolge zwischen Mai 2006 und Oktober 2012 nur rund eine Woche in Freiheit verbracht hatte – zu bunt, er klagte gegen die Verurteilungen unter Berufung auf sein Recht auf Privatleben und seine Meinungsfreiheit. Er wolle mit seiner Nacktheit seine Überzeugung kundtun, dass der menschliche Körper nicht anstößig sei.
Zu guter Letzt musste nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Beschwerde des „Naked Rambler“ entscheiden. Und wies diese zurück.
Der Argumentation Goughs vermochte sich das Gericht nicht anzuschließen. Zwar könne seine öffentliche Nacktheit durchaus als eine Art von Meinungsäußerung angesehen werden. Er könne jedoch nicht einerseits Toleranz für sich selbst beanspruchen, sich andererseits aber über die Gefühle anderer hinwegsetzen, die sein Verhalten als schockierend und verletzend empfinden. Dem Engländer hätte klar sein müssen, dass seine öffentliche Nacktheit als anstößig wahrgenommen werde und gegen die gesellschaftlichen Regeln verstoße. Zudem sei es ihm durchaus möglich gewesen, seine Meinung über das öffentliche Nacktsein und die dagegen bestehenden Gesetze durchaus auch auf andere Weise kundzutun. Ein ständiges Sich-Entblößen in der Öffentlichkeit sei jedenfalls nicht erforderlich gewesen.
Ob der „Naked Rambler“ sich von diesem Urteil tatsächlich beeindrucken lässt, bleibt abzuwarten…